"Ein kleines Körperteilchen bestimmt noch nicht die Geschlechtlichkeit"

Der Transsexuellen-Erlass ist zwar aufgehoben, aber das Innenministerium verlangt für eine Personenstandsänderung immer noch genital-anpassende Operationen. Nicht mehr lange, hofft die Ethnologin und TransX-Obfrau Mag. Eva Fels.

Das Interview führte Peter A. Kobath

Sie beschreiben in Ihrem Buch "Auf der Suche nach dem dritten Geschlecht" eine Reise zu den indischen Hijras? Wer sind diese Hijras?

Fels: Hijras sind Menschen in Indien, die keinem der beiden biologischen Geschlechter zuzuordnen sind, Hermaphroditen sind dabei, aber der Großteil ist wohl jene Gruppe, die man in Europa als Transgender bezeichnen würde. Hijras leben in eigenen Gemeinschaften und verstehen sich als weder Mann noch Frau. Ihr Identitätsgefühl ist nicht gleichzusetzen mit dem westlicher Transfrauen, die nach einem Geschlechtswechsel in ein neues Geschlecht eintauchen. Hijras haben eine traditionelle Einbindung in rituelle, religiöse, spirituelle Handlungen durch Tanzen und Segnungen auf Hochzeiten, bei Hauseinweihungen und nach der Geburt von Söhnen. Der Hintergrund ist eine ihnen zugeschriebene spirituelle Macht, die stark mit ihrer Kastration zusammenhängt, durch die sie quasi das Fleischliche überwinden. Diese religiöse Rolle geht aber zunehmend verloren. Für moderne Inder ist es nicht besonders attraktiv, sich von Hijras segnen zu lassen.

Wie wurde in unseren Breiten in vergangenen Zeiten mit Transgender-Personen umgegangen?

Wir wissen, dass in Wien 1683 ein Transvestit gelyncht und gehäutet worden ist. Wir wissen, dass Transgender-Personen in KZ ermordet worden sind. Wir wissen, dass Elektroschocktherapien und psychiatrische Behandlungen bis in die 1960er Jahren üblich waren. Wir haben noch immer in Psychiatrischen Anstalten Transsexuelle sitzen, die als Kinder dort hineingekommen sind und so lange gezwungen wurden, ihr Begehren zu verleugnen, dass sie verrückt geworden sind. Die Geschichte der Transsexuellen in Europa ist eine Geschichte der Folter.

Wie schaut die Situation im heutigen Österreich aus? Vor einem Jahr ist der so genannte Transsexuellen-Erlass aufgehoben worden - was heißt das?

Der Transsexuellen-Erlass hat die Bedingungen für eine Personenstandsänderung von Transsexuellen geregelt. Er war in seiner Formulierung freundlich, er hat Maßnahmen zur Angleichung des äußeren Erscheinungsbildes verlangt, aber er war in seiner Umsetzung unmenschlich, weil auf Operationen Wert gelegt wurde, die oft gar nicht dem Wunsch der Betroffenen entsprochen haben. Der Transsexuellen-Erlass ist nun zwar aufgehoben, aber das Innenministerium ist nicht von der Praxis abgegangen, die genital-anpassenden Operationen in der üblichen Art zu verlangen, das heißt auch Entfernung innerer Organe. Der einzige Fortschritt, der aber nur wenige betrifft: Wenn man verheiratet ist, muss man sich für eine Personenstandsänderung nicht scheiden zu lassen.

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Was fordert der Verein TransX vom Gesetzesgeber?

Unsere Hauptforderung ist nach wie vor eine Beendigung des Operationszwangs und die Anerkennung des gelebten Geschlechts. Wenn jemand im Alltagstest versucht, ein anderes Geschlecht zu leben und sich dabei immer wieder falsch ausweisen muss, dann ist das einfach nicht möglich. Man sollte den Leuten ganz nüchtern die Chance geben, in ihr neues Geschlecht auch rechtlich einzusteigen, mit allen Konsequenzen, um dieses realistisch und für die Gesellschaft dokumentiert zu leben. So lange die Dokumente nicht geändert sind, sind Transsexuelle immer wieder gezwungen, zu deklarieren, dass sie krank sind. Es ist ein gewaltiger Leidensdruck, mit einem inneren Geschlecht zu leben, das nicht dem äußeren entspricht und unterdrückt werden muss. Das ist eine anerkannte Krankheit, ICD 10, F 64.0, und wenn da im Pass ein falsches Geschlecht ausgewiesen wird, werden dadurch auch Gesundheitsdaten offen gelegt in einer Art und Weise wie das bei keiner anderen Krankheit denkbar wäre. Wer zu den Operationen nicht bereit ist, wird sein ganzes Leben lang als "Transe" bloßgestellt.

Die Bezeichnung "transsexuell" wird von vielen Betroffenen abgelehnt - warum?

Das Unbehagen an der Bezeichnung Transsexualität ist, dass es eigentlich ein medizinischer Begriff ist und ein Begriff, der sehr stark die Physiologie, also den Sexus, das Genital in den Vordergrund stellt. Ich glaube, dass da eine Art Fetischismus drinnen steckt, wenn ein kleines Körperteilchen als derartig bestimmend für die eigene Geschlechtlichkeit verstanden wird. Wenn man sich von dieser phallokratischen Ordnung lösen mag, in dem man sagt, ich mag mein Geschlecht so auslegen und darstellen wie ich möchte, ganz unabhängig vom Genitalen, dann kann man hier einen gewaltigen Sprung weiter kommen. Es lässt sich doch wirklich kaum jemand operieren, weil er unbedingt bumsen möchte.

  Aufklärung und Unterstützung

Der Verein für Transgender-Personen TransX mit Sitz in Wien will die gesellschaftliche Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer psychosozialen und sexuellen Orientierung aufheben. TransX bietet Aufklärung, Beratung, Informationen und Hilfe.
Nähere Informationen erhalten Sie unter www.transx.at

Wie viele Transgender-Personen leben in Österreich, und wie hoch ist der Prozentsatz derer, die geschlechtsangleichende Operationen durchführen lassen?

Im Jahr sind das im Schnitt rund 100 Personenstandsänderungen nach genitalanpassenden Operationen, über alles andere gibt es keine vernünftigen Schätzungen. Manche sprechen von 40.000 Transgender-Personen, aber das scheint mir zu hoch gegriffen. Man kann schwer feststellen, wie viele Leute ohne medizinische Behandlung im Alltag ein anderes Geschlecht leben. Jedenfalls sind das wesentlich mehr als die Operierten.

Gibt es an die medizinischen Maßnahmen auch falsche Erwartungen?

Der klassische Reue-Patient ist der, der die Operation für jemanden anderen oder für äußere Umstände macht. In dem Moment, wo man unter Druck steht, die Operation vorzunehmen, damit man die korrekten Papiere bekommt, oder wenn die Erwartung da ist, ich werde durch Operation wirklich zur Frau - das geht fast immer daneben. Wenn man sich etwas durch die Operation erkaufen mag, dann betrügt man sich.

Wie sieht es nach einer Operation mit der Libido aus?

Sehr unterschiedlich. Es ist ja so, dass im klassischen Weg beim Mann zur Frau eine chemische Kastration stattfindet, die zu einem Libidoverlust führt, was die männlichen Qualitäten betrifft. Das heißt aber nicht, dass grundsätzlich Unlust, Abstinenz oder dergleichen die zwangsläufige Folge ist. Im Gegenteil: Es ist ja auch so, dass viele bis zur Operation gar keine Sexualität pflegen können, weil sie mit ihreren Genitalien nicht zurecht kommen. Bei Frau-zu-Mann- Entwicklungen wird von Libidosteigerungen und häufiger sexueller Erregbarkeit gesprochen, aber ich bin mir inzwischen nicht sicher, ob das nicht ein Reproduzieren von Stereotypen ist. Portrait

Der Europäische Gerichtshof hat die Kündigung eines Menschen wegen eines beabsichtigten Geschlechtsrollenwechsels zur verbotenen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erklärt - wie schaut das Arbeitsplatzproblem in der Realität aus?

Wenn Sie beginnen, das alte Geschlecht abzulegen, müssen Sie sehr viel Glück in österreichischen Unternehmen haben und gut dort eingebettet sein, sonst ist der Arbeitsplatz verloren und es besteht fast keine Chance vor der Personenstandsänderung einen neuen Arbeitsplatz zu bekommen. Aber man muss sagen, wir haben in den letzten Jahren auch gehäuft gute Erfahrungen gemacht.

Wie wird die Frage der Personenstandsänderung in anderen europäischen Ländern gehandhabt?

Das quasi österreichisch-deutsche Modell ist das Normmodell aus den 1960er Jahren: Zuerst Operation, dann gehörst dem anderen Geschlecht an. Es gibt in Großbritannien meiner Ansicht nach ein gutes Modell: Da werden schon zu Beginn des Alltagstests korrekte Papier ausgestellt und wenn man zwei Jahre im gewünschten Geschlecht gelebt hat, werden tatsächlich alle Zeichen des ursprünglichen Geschlechts, auch die Geburtseintragung, geändert. Ein ähnliches Modell gibt es jetzt auch in Spanien.

Wie sieht es mit den Kosten bei einer Geschlechtsänderung aus?

In Österreich werden zuerst die genitalangleichenden Operationen bezahlt, was darüber hinausgeht kaum. Ohne diese Operationen gelten die Entfernung des Bartes mit Laserbehandlung, der Brustaufbau, Therapien zur Rückbildung von Glatzen, und ähnliches quasi als Privatsache.

Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass es in Österreich zu einer Gesetzesänderung kommt?

Die SPÖ will das in dieser Legislaturperiode ändern. Es steht auch im Regierungsübereinkommen, leider in einer schwammigen Form. Der Operationszwang ist heutzutage hoffentlich nicht mehr zu halten. Wir haben zur Zeit einen Musterprozess laufen von einer Transsexuellen ohne Operation, der die Personenstandsänderung verweigert worden ist, obwohl sie seit Jahrzehnten als Frau lebt, arbeitet und anerkannt ist. Ich fürchte fast, dass die Gerichte schneller sind als das Parlament. Ich würde begrüßen, wenn es umgekehrt wäre und hier ein klarer politischer Wille deklariert wird.

Vielen Dank für das Gespräch!

 


Erschienen in
CliniCum, Das Magazin für die Führungskräfte im Krankenhaus,
Heft 11/2007, S. 54-56

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