Autorin: Bianca Blei
Diskriminierung, Scheidungszwang und Pflicht zur Sterilisation: Welchen Schikanen Transidente in Europa noch immer ausgesetzt sind
Der Amerikaner George Jorgensen schrieb Geschichte, als er in den 1950er-Jahren nach Dänemark zog, um seinen Körper seinem gefühlten Geschlecht anzupassen. Er kehrte als Christine Jorgensen in die Staaten zurück und brachte so das Thema Transidentität in die Medien und das Bewusstsein der Leute. Bei Joshua war es genau umgekehrt. Der heute 36-jährige Transmann zog 2007 der Liebe wegen nach Dänemark, nur um feststellen zu müssen, dass das skandinavische Land eine viel restriktivere Gesetzgebung im Bereich Geschlechtsangleichung hatte als sein Heimatland, die USA. So schwer es ihm fiel – er ging wieder zurück (siehe Porträt unten).
Obwohl vor allem im Europa die Rechtslage für Transidente immer liberaler und als Menschenrechtsthema angesehen wird, werden viele Betroffene diskriminiert. So ist es in elf europäischen Staaten überhaupt nicht möglich, die offizielle Geschlechtsbezeichnung zu ändern. 19 Staaten verlangen von Transidenten vor ihrer Geschlechtsangleichung, dass sie sich von ihren Ehepartnern scheiden lassen, oder die Ehe wird mit der Angleichung annulliert. In 35 Ländern muss im Zuge des behördlichen Verfahrens eine psychische Diagnose erbracht werden – Transidentität gilt laut Weltgesundheitsbehörde (WHO) noch immer als psychische Erkrankung.
In das offizielle ICD-Klassifizierungssystem, das Krankheiten und medizinische Zustände erfasst, wurde Transidentität erst in der achten Ausgabe mit der Diagnose zum Transvestismus im Jahr 1965 aufgenommen. Erst 1975 findet sich der Begriff "trans-sexualism" oder Transidentität im ICD Nummer neun. Seit dem Jahr 1990 ist die zehnte Version des Systems in Kraft und für viele Experten bereits stark überholt. Transgender-Bewegungen kämpfen weltweit für eine Streichung von Transidentität von der Liste. Und sie stehen so kurz vor einem Triumpf wie noch nie zuvor.
Die Weltgesundheitsorganisation beauftragte ein Expertengremium mit der Evaluierung des bestehenden Systems und der Ausarbeitung von Vorschlägen für die elfte Version. Dieser Bericht wurde im Jahr 2012 fertiggestellt und soll im Jahr 2017 vom höchsten Gremium der WHO angenommen werden. Drei Experten aus den USA, den Niederlanden und Hongkong fertigten den Bericht zum Thema Transidentität für die WHO an und sind sich einig: Die diagnostische Klassifizierung von Störungen, die im Zusammenhang mit Transidentität stehen wurden lange durch Unwissen, Fehlvorstellungen und Kontroversen charakterisiert. In den zwei Jahrzehnten, die seit der Veröffentlichung des ICD-10 vergangen sind, hätten sich die Wissenschaft, Gesellschaft und die Menschenrechte weiterentwickelt. Dem müsse der ICD-11 Rechnung tragen.
Die Experten treten dafür ein, dass Transidentität oder Geschlechterinkongruenz, wie der Begriff künftig heißen soll, einem anderen Überthema als geistige Erkrankungen zugeordnet oder vollkommen gestrichen wird. . Das wird auch durch eine Resolution des EU-Parlaments, des Europarates und vielen NGOs unterstützt. Gegen eine vollkommene Streichung sprechen sich aber auch Teile der Transidenten-Community aus. Sie befürchten, dass dadurch nicht mehr die medizinischen Kosten, die im Zuge der Geschlechtsangleichung anfallen, von der Krankenkasse übernommen werden.
Mariam Vedadinejad von Queer-Amnesty vergleicht Transidentität etwa mit einer Schwangerschaft. "Das ist ebenso ein medizinischer Zustand, der von der Krankenkasse bezahlt wird und es ist allen vollkommen klar, dass das keine Krankheit ist", sagt sie. Dem stimmt Eva Fels, Obfrau des Vereins TransX zu: "Mir ist es relativ egal, welcher Kategorie Transidentität zugeordnet wird. Es muss nur ein Ende der Pathologisierung her." Dass die Kassen auch künftig die medizinischen Kosten der Betroffenen übernehmen sollen, steht für sie außer Frage.
Die Debatte in der Weltgesundheitsorganisation ist nur ein Zeichen dafür, dass sich welt- und vor allem europaweit viel tut. So schwenkte Dänemark im September vergangenen Jahres von einer konservativen zu einer damals einzigartigen Gesetzgebung um. Das Parlament in Kopenhagen schaffte alle bis dahin geltenden Erfordernisse psychiatrischer Gutachten und Operationen ab und machte eine Personenstandsänderung nur mehr davon abhängig, welchem Geschlecht sich die Betroffenen zugehörig fühlen. Malta zog heuer im April nach. Auf dem Inselstaat reicht es nun, ein notariell beglaubigtes Papier abzugeben, wo man festhält, in welchem Geschlecht man künftig leben möchte.
Die beiden Staaten sind damit aber noch einzigartig in Europa. Auch in Österreich müssen noch immer psychiatrische Gutachten vorgelegt werden, bis der Vorname und schlussendlich der Geschlechtsmarker in den offiziellen Dokumenten geändert wird. Dagegen wehren sich NGOs wie TransX. Obfrau Eva Fels: "Wir haben von politischer Seite bis dato keine plausible Erklärung erhalten, warum man den Vornamen nicht einfach ändern darf." So hätte die damalige Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) zwar behauptet, dass es den Verbrechern einfacher wäre unter einem anderen Namen unterzutauchen, doch das lässt Fels nicht gelten. "Sowohl im alten Geburtenbuch als auch in anderen Datenbanken sind sämtliche Vorexistenzen einer Person gespeichert und den Ermittlern zugängig."
Gleichzeitig sei die psychische Belastung für Betroffene aber groß, wenn sie etwa im Wartezimmer eines Arztes mit ihrem weiblichen Erscheinungsbild sitzen, dann aber immer noch mit ihrem männlichen Namen aufgerufen werden. Prinzipiell sei die Gesetzgebung in Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Staaten aber in Ordnung. Vor allem der Schutz am Arbeitsplatz sei ein wichtiger Schritt in den vergangenen Jahren gewesen. Trotzdem gäbe es aber auch in dem Bereich noch Nachbesserungsbedarf: "Es ist schwierig, Zeugnisse von Universitäten oder Dienstzeugnisse nach der Transaktion mit dem neuen Namen und Geschlecht ausgestellt zu bekommen." Immerhin würden aber Zeugnisse des Unterrichtsministeriums problemlos neu ausgestellt werden.
Viele Transidente Europas haben aber nicht nur mit psychischem Druck zu kämpfen, sondern sind auch Gewaltandrohungen oder tätlichen Angriffen ausgesetzt. Bei einer Befragung im Jahr 2013 durch die Europäische Union von lesbischen, schwulen, bisexuellen und Transgenderpersonen in Europa, gaben 35 Prozent der Transidenten an, dass sie in den fünf der Studie vorangegangenen Jahren Gewalt oder Drohungen erfahren hatten. Die Hälfte derer, die davon in den zwölf Monaten vor der Befragung betroffen waren, waren der Ansicht, dass sie aufgrund ihrer Geschlechtsidentität zu Opfern geworden waren. Zwei Drittel erfuhren mehr als einmal während der zwölf Monate zuvor Drohungen oder Gewalt. Mindestens 84 Transgender wurden in den Jahren von 2008 bis 2013 in Europa getötet – die meisten davon in der Türkei oder in Italien.
Laut Fels ist in Österreich Gewalt gegen Transidente "zum Glück kein großes Problem". Zwar wurde vor etwa drei Wochen in Wien eine Transgenderperson Opfer einer Attacke, doch "das ist die Ausnahme". Für Fels ist in Österreich die Gesellschaft nämlich bereits viel weiter als es die Politik in dem Bereich vermuten lässt: "Viele Transgender erfahren überraschend große Unterstützung aus ihrem Umfeld."
Diese Unterstützung erhoffen sich Transgenderpersonen in Europa nun auch auf politischer Ebene. Das Umdenken in vielen Staaten und der Weltgesundheitsorganisation ist für sie ein wichtiger Beginn.
Um drei Trans*-Porträts gekürzte Version des im | Standard am 15. Mai 2015 erschienenen Artikels. |