Gegen den Geschlechterzwang
Wien – Schwierig sei vor allem der Beginn einer Geschlechtsumwandlung, erzählt Eva Fels, Obfrau des heimischen Transgendervereins TransX. Etwa, wenn ein Mann, der sich nur als Frau akzeptieren kann, beginnt, weibliche Kleidung zu tragen – und damit auf das Befremden seiner Arbeitskollegen stößt. Oder wenn eine Frau, etwa durch Hormongaben, mehr und mehr zum Mann wird.
"Dann", so Fels, "ist gesetzlicher Druck das Letzte, was er oder sie braucht". Vor allem keinen Druck in Richtung geschlechtsverändernder Operation, wie ihn das Recht derzeit ausübe: In den meisten EU-Staaten seien nur umoperierte Transgenderpersonen berechtigt, vor den Behörden ihr Geschlecht zu wechseln.
Diesen mühevollen Weg beschreiten in Österreich jährlich rund 60 Menschen. Für Fels ist er Ausdruck einer "rückständigen Körperpolitik", über die sie von Donnerstag bis Sonntag mit 150 weiteren Betroffenen beim Gründungskongress einer gesamteuropäischen Transgender- Vernetzung konferieren will.
Prominentes Ambiente dieser bisher größten einschlägigen Veranstaltung ist das Wiener Rathaus. Die Bundeshauptstadt sei "sehr froh", hier Impulsgeberin zu sein, betont Wolfgang Wilhelm von der mitveranstaltenden Wiener Antidiskriminierungsstelle. Mehr als Körperpolitik ist Wilhelm jedoch die "Bewältigung von Alltagssorgen" ein Anliegen. Etwa mittels Klagen nach dem Gleichbehandlungsgesetz "wenn eine Transgenderperson aus Diskriminierungsgründen ihren Job verliert".
Aber diese Perspektive geht Fels nicht weit genug. Sie zielt auf Geschlechtswechsel ohne Chirurgenmesser ab – wie in Großbritannien, wo zwei Jahre "Lebenspraxis" im neuen Geschlecht reichen.
(Von Irene Brickner, DER STANDARD, Printausgabe 03.11.2005, derStandart.at und dieStandart.at)
Ein Leben zwischen Mann- und Frausein
Wien – "Vielleicht lebst du in einem harten Stadtviertel, wirst bedroht und verprügelt. Vielleicht wirst du gemobbt und verlierst deinen Job": Im friedlichen Ambiente des Wappensaals im Wiener Rathaus erzählte Ariane van der Veen von den Gefahren, die mit einer Geschlechtsumwandlung einhergehen.
Die prekäre Reise von einer Geschlechtszugehörigkeit zur anderen – bei ihr vom Mannzum Frausein – hat die niederländische Psychologin selbst gemacht.
"Du kannst im Vorhinein nicht wissen, wie weit du in deiner Veränderung wirklich gehen kannst und willst“, sagt sie. Daher sollten Behörden und Mediziner möglichst wenig Zwang ausüben, forderte Van der Veen als eine von 150 Delegierten aus 24 Ländern zur gesamteuropäischen Transgenderkonferenz, die von 3. bis 6. November in Wien tagte.
Erstmals wurde der Versuch unternommen, die politischen Forderungen kontinentweit zu vereinheitlichen. Dass der Weg in die gesellschaftliche Normalität ist noch weit ist, zeigte sich während des Kongresses.
Eineinhalb Tage vor der groß angekündigten Feier ging den Konferenzorganisatoren der Veranstaltungsort verloren. Die Geschäftsführung des Lokals Andino habe die Veranstalter plötzlich als "nicht seriös" bezeichnet, ärgerte sich TransX-Obfrau Eva Fels. Andino-Geschäftsführer Klemens Baier: Mit „dem Herrn oder Dame“ von TransX habe er "nie einen Vertrag unterzeichnet". Das Fest wurde ins Aids Hilfe Haus verlegt.
Wissen Schritt über die Grenzen
Im Unterschied zur körperlichen Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen meint der Ausdruck Gender das soziale Geschlecht (Geschlechterrollen usw.). |
Nüchtern und konzentriert indes war die Stimmung im Wappensaal. Kein Glamour, stattdessen viele weibliche Personen über 1,80 Meter in Jeans – und eher kleinere männliche in lässiger Freizeitkleidung. Gefordert wurde mehr und effektiverer rechtlicher Schutz vor Verfolgung durch entsprechende Anpassung der Antidiskriminierungsbestimmungen.
Skandalös sei, dass Transgenderpersonen in der Türkei mittels eines Paragrafen gegen „obszönes Verhalten“ immer noch aus der Gesellschaft ausgeschlossen würden. Zudem sollten auch die Mediziner ihre Rolle als Hüter der Geschlechterordnung überdenken. In Österreich obliegt es zwei Experten des Wiener Instituts für Gerichtsmedizin einzuschätzen, ob eine Annäherung an das neue Geschlecht weit genug gediehen ist, um einen Personenstandswechsel samt Annehmen eines neuen Vornamens zu rechtfertigen. Da sie das Okay nur nach geschlechtsumwandelnden Eingriffen gewährten, bestehe de facto „Operationszwang“, den der Kongress ablehnte. Stattdessen wurde das Recht auf „eigenverantwortliche freie Wahl des Vornamens“ gefordert.
(Von Irene Brickner, DER STANDARD, Printausgabe 07.11.2005, derStandart.at)
Links:TransX, Europäisches Transgender Netzwerk |
Lesen Sie auch den Schwedischen Artikel: 130 Transgenderpersoner på europeisk konferens i Wien, erschienen in Transinform, Nr. 3, Jänner 2006.