Als ich 1998 erstmals TransX besuchte, traf ich auf eine von Selbstmitleid gezeichnete Gruppe. „Die Gesellschaft ist gegen Transgender“ war das traurige Credo, als ob „die Gesellschaft“ überhaupt einen Willen hätte. Dabei kannte fast niemand den Begriff Transgender (TG): Unsere Schwestern wurden vor allem als Schwule beschimpft.
CSD 2001
In einer von transvestitischen (TV)- und transsexuellen (TS) Identitäten geprägten Welt war TransX schon bei seiner Gründung 1995 extrem fortschrittlich, als er sich übergreifend „Verein für TransGender-Personen“ nannte und damit die Gräben zu überbrücken suchte. Es gelang nicht ganz. 1999 spaltete sich eine Gruppe von Hardcore Transsexuellen ab, die sich nicht mehr mit „fetischistischen Cross-Dressern“ auseinandersetzen wollte.
Nach wenigen Jahren war diese Gruppe untergegangen, so wie das Untergehen leider zum Programm von Geschlechtswechslern gehört. Die meisten interessieren sich nur während ihrer Übergangsphase für TG-Fragen und tauchen danach in die Anonymität ab, wo sie allzu oft an Depressionen ersticken. Anders als bei LG-Gruppen liegt die Halbwertszeit von TG-Aktivist*innen nur bei etwa einem Jahr. Ein für LGB-Personen wichtiges Motiv, LG-Gruppen zu besuchen, nämlich die Partnersuche, entfällt für TGs, auch wenn sich gelegentlich auch Beziehungen zwischen TGs entwickelt haben.
Bedenkt man die zudem zahlenmäßig deutlich geringere Verbreitung von TGs im Verhältnis zu LGs wird verständlich, wie schwach TG-Gruppen etwa im Vergleich zur HOSI Wien aufgestellt sind.
Zum 10-jährigen Jubiläum von TransX mussten wir fürchten nicht einmal einen mittelgroßen Saal für die Feier füllen zu können. Wir traten die Flucht nach vorne an und fragten alle uns bekannten europäischen TG-Gruppen, ob sie nach Wien zu einem Vernetzungstreffen kommen und dabei auch mit uns feiern wollten. Das Feedback war so überwältigend, dass wir ein internationales Programmkomitee nominierten und schon bald das Treffen als ersten Europäischen Transgender-Rat ankündigen konnten. Dank der Unterstützung der WASt fand die Tagung Anfang November 2005 im Wiener Rathaus statt. 120 Aktivist*innen aus 66 Gruppen von 21 Ländern machten Geschichte: Erstmals stimmten Delegierte darüber ab, welche politischen Trans-Forderungen sie mittragen wollen und können. Als Hauptforderungen kristallisierten sich das Recht auf Personenstands- und Vornamensänderungen sowie die freie Wahl medizinischer Behandlungen innerhalb der EU heraus.
Transgender-Rat 2005
Damit war der Grundstein für eine europäische TG-Bewegung gelegt. Es dauerte noch etwas über ein Jahr bis das Führungskomitee der Wiener Versammlung den Verein Transgender Europe (TGEU) gründete, der neben hervorragender Lobby- und PR-Arbeit bis heute noch alle zwei Jahre TG-Councils veranstaltet.
Mit dem ersten TG-Rat wurde auch ein Signal gegenüber ILGA-Europe gesetzt. Obwohl dort nur wenige TGs beheimatet waren, hätten im selben Herbst TG-Forderungen formuliert werden sollen. Wir haben es ihnen erspart. Seither bestehen intensive Kooperationen zwischen TGEU und ILGA-Europe, wobei klar ist, dass beide Gruppen die Schwerpunkte der anderen respektieren und keine nicht abgesprochenen Statements zu Themen der anderen abgeben.
TransX hat bereits 2001 ein solches Übereinkommen mit der HOSI Wien getroffen: Wir lobbyieren, campaignen und agieren bei Homosexuellenfragen nur im Sinn der HOSI, die uns die Themenführerschaft bei TG-Fragen überlässt. Ich bin sehr froh, dass dieses Kooperationsmodell nun auch zwischen HOSI Wien, VIMÖ (Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreichs) und TransX bestätigt wurde. LGBTIQ-Politiken setzen keine All-In Gruppen voraus, sondern werden von den Schulterschlüssen extrem unterschiedlicher Gruppen getragen, die ganz spezifische Ziele verfolgen. Dabei kann es freilich auch zu Interessenskonflikten zwischen den Gruppen kommen: 2009 wollte etwa die ÖVP für ihrer Zustimmung zum Eingetragene Partnerschaft-Gesetz ein für uns unannehmbares TS-Gesetz durchboxen. Die HOSI Wien bezog zu dem „Deal“ keine Stellung. Wir konnten das Gesetz noch knapp verhindern. Als umfassende LGBT-Gruppe hätte die HOSI zur Realisierung der jahrelang erkämpften Eingetragene Partnerschaft der ÖVP wohl zustimmen müssen.
Mit seinem fast 25-jährigen Bestehen blickt TransX auf eine Erfolgsgeschichte der TG-Emanzipation zurück. Anfangs fühlten sich die Betroffenen zurecht jämmerlich. Personenstandsänderungen waren an Scheidungen (bis 2006) und genitalanpassende Operationen (bis 2010) geknüpft. Die Zwangs-Psychotherapie ist 2014 gefallen. Geschlechtswechsel erfolgen heute meistens ohne Jobverlust. Aufgedeckte Transvestiten müssen nicht mehr solche Diffamierungen befürchten, wie es früher üblich war.
Seit 2001 ist die erste Forderung von TransX:
Recht auf freien Ausdruck der eigenen Geschlechtlichkeit ohne Diskriminierung und Diffamierung!
JedeR hat das Recht auf freie Wahl des eigenen Geschlechts und auf den uneingeschränkten Ausdruck aller geschlechtlichen Empfindungen. Geschlechtskonformität darf kein Kriterium für die Achtung oder Missachtung von Menschen sein. Das Verhalten und die Wahl der Kleidung sind persönliche Entscheidungen, die nicht mehr zu Diffamierungen im Beruf und im Alltag führen dürfen.
Und dennoch: Zentrale TransX-Forderungen sind noch unerfüllt. Nach wie vor dürfen bei Vornamensänderungen nur geschlechtskonforme Namen gewählt werden. Das ist eine spezifische gesetzliche Diskriminierung von TG-Personen. Eine Petition mit 3000 Unterschriften vergilbt seit 2005 im Parlament. Die Achtung der Menschenrechte von Minderheiten war ja nie eine Spezialität österreichischer Regierungen. Wahrscheinlich muss auch diese Frage, so wie schon zuvor der Scheidungs- und Operationszwang, von Höchstgerichten geklärt werden.
Eine andere TransX-Forderung ist die Streichung des Geschlechtseintrags aus Ausweisen jeder Art. Die staatliche Geschlechtsmarkierung hat längst ihre sicherheitspolitische Legitimation verloren. Sie ist nur mehr Ausdruck sexistischer Strukturen, in denen die, die ambivalent zwischen den Geschlechtern stehen, unter die Räder kommen: Laut FRA (2020) erfuhren 25% der TGs im Vorjahr beim Zeigen ihrer Ausweise Diskriminierung.
Die tägliche Arbeit von TransX entzündet sich immer wieder an konkreten Anlässen. 2003 begann die Unterstützung minderjähriger TGs und deren Eltern.
2007 konnten wir den Menschenrechtskommissar des Europarates auf die unmenschlichen Bedingungen bei Personenstandsänderungen aufmerksam machen. Das von ihm daraufhin veröffentlichte „Hammerberg-Papier“ half in vielen Ländern den Sterilisations- und Operationszwang zu überwinden.
Seit 2011 arbeiten wir intensiver mit nach Österreich geflüchteten TGs. Bis heute wird die Verfolgung von Trans*-Personen oft „übersehen“, da die Betroffenen in den Abschiebezentren häufig aus Angst vor Misshandlungen ihre Transidentität verschweigen. Nach der wohl bislang größten TG-Demonstration gelang es, das Verfahren einer Transfrau, die sich bereits in Schubhaft befand, wieder aufzurollen. Heute hat sie einen anerkannten Asylstatus.
Anerkannten Flüchtlingen bleibt der Weg zu regulären Hormontherapien oft allein durch Sprachbarrieren verschlossen: Diagnosen und psychologische Testsoftware setzen meist Deutschkenntnisse voraus.
2012 rückte die Betreuung von Trans-Häftlingen ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit. Etwa die Hälfte der inhaftierten TGs lebt im zeitlich unbeschränkten Maßnahmenvollzug, ein Schicksal, das ansonsten nur etwa 10% aller Häftlinge trifft. TG-Personen machen vermutlich bei Richter*innen einen besonders gefährlichen Eindruck. Problematisch ist aber, insbesondere bei langen Haftzeiten, dass das Justizministerium kein Konzept für den Geschlechtswechsel Inhaftierter hat. Gar kein Konzept? Nein, ein Arbeitskreis, an dem wir beteiligt waren, hat eine Empfehlung erarbeitet. Seit der VP-FP Regierung liegt sie allerdings auf Eis. Der Aufschrei des Anti-Folter-Komitees des Europarats, wonach auch Inhaftierten ein Recht auf ihre Geschlechtsentwicklung einzuräumen ist, verhallt.
Stadtfest 2012
2014 wurden endlich die „Empfehlungen für den Behandlungsprozeß von Transsexuellen“ aus dem Jahr 1997 revidiert. Wir waren von dem Text des Gesundheitsministeriums ebenso schockiert wie viele der an der Entstehung beteiligten Expert*innen. Er strotzte vor Fehlern und verlangte Behandlungsbedürftigen die Prognose einer lebenslänglichen „Transsexualität“ – also den anhaltenden Wunsch nach neuen Geschlechtswechseln – ab. Nach heftigen Protesten wurden die Empfehlungen bis 2017 siebenmal revidiert. Heute können wir damit leben. Zufrieden sind wir allerdings nicht. In einem Exkurs definierte das Gesundheitsministerium in blanker Kompetenzüberschreitung neue Kriterien für Personenstandsänderungen. Das zuständige Innenministerium berief sich immer auf das VwGH-Urteil von 2009. Dieses zitierte den unveröffentlichten Transsexuellenerlass des BMI von 1983 (!), der letztendlich 2006 vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurde. Demnach erkennt das BMI den Geschlechtswechsel an, wenn jemand „unter der zwanghaften Vorstellung gelebt hat, dem anderen Geschlecht zuzugehören“. Das Gesundheitsministerium propagierte dagegen, dass die Diagnose der Persönlichkeitsstörung „Transsexualität“ notwendig sei. Standesämter – selbst in Wien – haben sich dieser Pathologisierung angeschlossen. Wir hoffen, dass diese Verschärfung bald zurückgenommen wird.
Seit 25 Jahren finden zweimal monatlich TransX-Abende in der Türkis-Rosa-Lila-Villa statt. Es sind in der Regel Themenabende zu TG-Angelegenheiten im weitesten Sinn. Immer wieder gelang es, hervorragende Expert*innen für kostenlose Referate zu gewinnen. Darüber hinaus veranstalten wir Workshops zu Themen wie Styling, Körpersprache oder Selbstverteidigung.
Die wirkliche Dynamik geht dabei von den Besucher*innen aus. Personen, die grade aus ihrem alten Geschlechtskorsett schlüpfen, bekommen von Erfahreneren Tipps und Unterstützung, die sie später wieder an Neu-Ankommende weitergeben. Einige leisteten und leisten dabei für Personen in schwierigen Lebenslagen auch substantielle Hilfe. Darauf kann TransX wirklich stolz sein.
Als größte TG-Gruppe Wiens haben wir uns auch immer verpflichtet gesehen, Gruppen in den Bundesländern über aktuelle Entwicklungen zu informieren. Für eine akkommodierte Politik haben wir immer wieder zu gesamtösterreichischen Vernetzungstreffen eingeladen, wobei u.a. auch gemeinsame Positionen zur Namens- und Personenstandsänderungen beschlossen wurden. Trotz sehr unterschiedlicher Ausrichtungen der einzelnen Gruppen sind wir hier einer Meinung: Wir fordern die Selbstbestimmung über unser Geschlecht. Der Staat hat nicht in unser Geschlecht zu grapschen!