"Es ist eine Revolution"

Transgender-Personen müssen sich in Österreich zukünftig wohl keinen genitalverändernden Operationen unterziehen, um ihr Geschlecht offiziell zu ändern. Eva Fels, Obfrau des Vereins TransX, freut sich über das neue Urteil, fordert aber, dass für die staatliche Geschlechtsfestlegung generell nur die selbst gewählte Geschlechtsidentität relevant sein soll. Ein Interview zum Status Quo der Transgender-Bewegung von Lea Susemichel.


an.schläge: Der österreichische Verwaltungsgerichtshof hat den Zwang zu genitalverändernden Operationen für eine Personenstandsänderung von Transsexuellen aufgehoben. Das Rechtskomitee LAMBDA spricht von einer historischen Entscheidung. Wie bewertet ihr das Urteil?

Eva Fels: Großartig! Wir haben jahrelang darum gekämpft die rechtlichen und medizinischen Aspekte zu entkoppeln. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit darf auch bei Personenstandsänderung nicht verletzt werden.

Soweit ich das verstanden habe, betrifft das ja auch nur male to female-Transsexuelle.

Nein. Das Urteil spricht von "schwerwiegenden operativen Eingriffen" und ist damit sicher auch für die Entfernung der Eierstöcke und der Gebärmutter zu interpretieren. Der eugenische Zwang, die Sicherstellung, dass sich "unwürdige Bürger" nicht vermehren, so wie er etwa im deutschen Transsexuellengesetz explizit verankert ist, muss hoffentlich in Österreich jetzt nicht mehr diskutiert werden.

Aber Zwangstherapie und Hormonbehandlung sind ja auch weiterhin verpflichtend ?

Tja, vermutlich. Aber wie lange? Das weiß zur Zeit niemand. Es gibt derzeit keine Regelung. Es werden vermutlich wieder "Maßnahmen zur Angleichung des äußeren Erscheinungsbildes" verlangt. Und um präzisieren, wie etwa das "äußere Erscheinungsbild einer Frau" auszusehen hat, wird das Innenministerium wieder unter Ausschluss der Öffentlichkeit den Standesämtern per Erlass unhaltbares Vorgehen vorschreibt. So war es bisher immer, und so wird es sein, wenn das Parlament die Sache nicht bald in die Hand nimmt. Wir drängen auf eine klare politische Lösung.

Wie könnte diese Lösung aussehen?

Nun, in den Rechtsordnungen gibt es vier Gruppen von Kriterien, nach denen das staatliche Geschlecht bei TransGendern korrigiert wird:
Erstens: die Opferbereitschaft, das heißt, dass TransGender-Personen durch somatische Eingriffe dokumentieren müssen, wie ernst es ihnen wirklich ist. Dazu zählt etwa die Vorschrift, dass sich TransMänner die Brüste amputieren lassen müssen, selbst wenn diese nur unmerklich ausgeprägt sind. Dazu zählen der Sterilitätszwang und das generelle Vorschreiben von Hormontherapien. Historisch beruht das auf der ebenso falschen wie weit verbreiteten Vorstellung, dass alle Transsexuellen genitalanpassende Operationen ersehnen. Aber auch das kann nicht rechtfertigen, dass der Staat nicht operierte Transsexuelle durch Dokumente, die ihr nicht mehr erkennbares Ursprungsgeschlecht ausweisen, systematisch als transsexuell outet.

Das zweite Kriterium ist die psychische Irreparabilität. So gut wie alle Europäische Regelungen verlangen, dass Transsexuellen durch Gutachten belegen, dass sie unter der dauerhaften Zwangsvorstellung leiden, dem anderen Geschlecht anzugehören. Selbst die ungarische Lösung, die ansonst keine weiteren Kriterien kennt, fordert das. Die Formulierungen sind meist diffamierend pathologisierend.

Drittens: das gelebte Geschlecht. Ich denke, dass das soziale Geschlecht vom Staat anerkannt werden muss. Es ist das entscheidende Kriterium in der britischen Lösung von 2004. Das Problem ist nur, dass zwar jedes Kind sagen kann, wer ein Mann und wer eine Frau ist, wir aber kein wissenschaftlich fundiertes Instrumentarium gibt, um das zu erkennen. Das wäre eigentlich eine Aufgabe für die Gender Theory, aber da mag sich wohl niemand die Finger schmutzig machen.

Und zuletzt kann viertens auch das selbstbezeugte Geschlecht herangezogen werden. Das gibt es erstmals in der britischen Lösung, wo man einen Eid ablegen muss, nie mehr in das Ursprungsgeschlecht zurück zu wechseln. In zentraleuropäischen Staaten betrachtet man solche autonome Erklärungen mit Skepsis. Schließlich wird durch einen Meineid die Rückkehr ins Ursprungsgeschlecht nicht definitiv ausgeschlossen, aber das wird sie auch nicht durch zehn geschlechtsanpassende Operationen.

Wir meinen, dass für die staatliche Geschlechtseinschreibung lediglich die Identität und das soziale Geschlecht relevant sein sollten. Zum Glück hat nun auch der Verwaltungsgerichtshof bestätigt, dass die Geschlechtsidentität entscheidend ist, und diese nicht durch Blutopfer unter Beweis gestellt werden muss. Im Juni dürfte der Verfassungsgerichtshof ein ähnliches Urteil fällen.


"DER EUGENISCHE ZWANG, DIE SICHERSTELLUNG, DASS SICH 'UNWÜRDIGE BÜRGER NICHT VERMEHREN, SO WIE ER ETWA IM DEUTSCHEN TRANSSEXUELLENFESETZ EXPLIZIT VERANKERT IST, MUSS HOFFENTLICH IN ÖSTERREICH JETZT NICHT MEHR DISKUTIERT WERDEN."

Du bist Obfrau des Vereins TransX, der nach eigenem Bekennen offen für all jene ist, die Geschlechtergrenzen überschreiten. Ist es nicht schwierig Politik für eine so heterogene Gruppe zu machen, in der sich vermutlich eher "unpolitische", bewegungsferne Leute genauso finden wie Queer-Aktivist_innen?

Nein, es ist viel einfacher, weil uns nicht Ideologien oder Weltbilder verbinden, sondern der Kampf uns trotz aller sexistischen Anfeindungen individuell entwickeln zu können. Das ist sehr einfach. Im wesentlichen unterstützen erfahrene TransGenders andere, die gerade am Schlüpfen sind. Wer heranreift gibt diese Hilfe dann meist gerne an die nächste Generation weiter.

Trans X betont ausdrücklich, nicht zwischen verschiedenen transidenten Menschen unterscheiden zu wollen. Wie ist da eure Position?

Ja. Wie weit jemand geht hängt meist nicht von einer vorgegebenen Geschlechtsidentität ab, die sich ja erst im Transformationsprozess festigen kann, sondern von sozialen, beruflichen und familiären Randbedingungen. Jede von uns hat ihr Wunschgeschlecht schon einmal verleugnet und versteckt - ja meist jahrelang eingekerkert - wie könnten wir das anderen vorwerfen?

Was sind eure wichtigsten Forderungen?

Unsere erste und wichtigste Forderung ist seit Jahren unverändert. Das Recht auf freien Ausdruck der eigenen Geschlechtlichkeit ohne Diskriminierung und Diffamierung! Jede_r hat das Recht auf freie Wahl des eigenen Geschlechts und auf den uneingeschränkten Ausdruck aller geschlechtlichen Empfindungen. Geschlechtskonformität darf kein Kriterium für die Achtung oder Missachtung von Menschen sein. Das Verhalten und die Wahl der Kleidung sind persönliche Entscheidungen, die nicht mehr zu Diffamierungen im Beruf und im Alltag führen dürfen.
Wir fordern klare Gesetze, auf deren Basis sich auch TransGender-Personen gegen sexistische Belästigungen und Diskriminierungen wehren können.

Wie ist es generell um die Transgender-Bewegung in Österreich bestellt? Auch im Vergleich zu Deutschland bzw. anderen europäischen Ländern und den USA?

Es klingt vielleicht komisch, aber es geht uns viel besser, weil wir viel schwächer sind. In den USA gibt's eigene Gruppen für heterosexuelle Transfrauen, in der BRD heftige Fehden zwischen den Gruppen einzelner Bundesländer und fast überall gibt's getrennte Gruppen für Transsexuelle und Transvestiten, und dann postoperierte Transsexuelle und fetischistische Transvestiten. Wir haben einfach nicht die kritische Größe erreicht um in solchen Wahnsinn zu verfallen. Wir sind zwar mehr geworden. Es gibt in fast allen Bundesländern Gruppen und in Wien schon einige Stammtische aber alle kommunizieren über transgender.at und alle kommen zu den zwei - bis drei mal im Jahr stattfindenden transgender.at - Wochenenden.

TransX hat 2005 den ersten europäischen "Transgender Council" organsisiert, danach wurde die erste europäische Transgender-Organisation "TransGender Europe" gegründet. Gibt es auch auf europäischer Ebene Erfolge?

TGEU hat sich inzwischen zu einer Lobbyist_innenorganisation entwickelt. Es gab vielversprechende Kontakte mit dem Europarat und mit EU-Parlamentarier_innen aber noch keine sichtbaren Erfolge. Dafür sind leider unsere Visionen einer europaweiten Vernetzung und der internationalen Solidarität verloren gegangen.

Ihr bietet auch konkrete Unterstützung beim coming-out und going-public an und schreibt auf eurer Homepage, "dass die Ängste vor dem Erkanntwerden auf der Straße, vor Provokationen und vor dem eigenen Lächerlichsein schlimmer sind als die tatsächlichen Probleme." Ist das tatsächlich so? Bzw. würdest Du sagen, dass die Akzeptanz von Transsexuellen gestiegen ist und Alltagsdiskriminierungen und -diffamierungen abgenommen haben?

Eindeutig. Wir haben immer mehr erfolgreiche Geschlechtswechsel bei weiterhin bestehenden Arbeitsverhältnissen. Vor 10 Jahren war das kaum denkbar. Wir sind noch nicht dort, wo wir hin wollen, aber ganz nüchtern: es ist eine Revolution. Es geht jetzt um die Abschaffung aller Geschlechtszwänge.

Und wie sieht es mit dem Ausschluss von Transgender Personen aus feministischen Räumen gegenwärtig aus? Würdest Du sagen, dass sich durch die Debatten etwas verändert hat?

Leider haben die Streitereien den feministischen Bewegungen unnötig viel Kraft gekostet. Für die meisten TGs waren sie aber irrelevant. Es ist nun einfach so, dass jemand der Frau wird nicht unbedingt Feministin wird. Und warum Feministinnen Feministinnen ausschließen, das können andere sicher profunder erklären.
zu an.schläge.at



top Erschienen in an.schläge, das feministische Magazin, 06/2009, S. 14 f. 
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