queerdays

Sind wir "Barbaren"?
Gestalten revolutionärer Subjekte.

2004-07-10, ein Figure-out-workshop im Rahmen der queer days,  8.7. - 10. 7., Wien.

Ankündigungstext:
Ausgehend von einem Text von Michael Hardt und Toni Negri, die ein positives BarbarInnentum in der Überschreitung von Grenzen, u.a. auch zwischen den Geschlechtern, postulieren, soll über diese Art revolutionärer Potentiale (und die Kritik daran) diskutiert werden.

 

Teil 1:   Der Text

Nach dem Niedergang des "real existierenden Sozialismus" haben Antoni Negri und Michael Hardt Perspektiven eines global existierenden Kapitalismus diskutiert. cover Mit der Frage konfrontiert, wo in diesem "Empire" (2000) revolutionäre Potentiale bestehen, die sich der realen Subsumption unter die Logik des Kapitals entziehen könnten, skizzieren sie einen Idealtyp revolutionärer Subjekte, der offensichtlich an TransGender-Personen angelehnt ist.

Die relevanten Passagen finden sich in dem Kapitel "Intermezzo: Gegen-Empire" im Abschnitt "NEUE BARBAREN" (Empire, S 214 - 218). Tatsächlich sind es Barbaren, die Negri und Hardt zum Träger neuer Aufstände erküren. Sind TransGender Barbaren?
Bevor wir uns dieser Frage zuwenden, wollen wir einmal den Originaltext lesen. Zunächst charakterisieren Negri und Hardt ihre revolutionären Potentiale durch ein dubioses Dagegen-Sein:

Diejenigen, die dagegen sind, müssen, wenn sie aus den lokalen und partikularen Zwängen ihres Daseins entfliehen, ständig versuchen, einen neuen Körper und ein neues Leben aufzubauen. Das ist notwendigerweise ein gewaltsamer, barbarischer Übergang, doch es ist, wie Walter Benjamin sagt, ein positives Barbarentum: "Barbarentum? Genau." (...) Die neuen Barbaren zerstören mit affirmativer Gewalt und bahnen neue Lebenswege durch ihre eigene materielle Existenz. (...)

Jo wird später auf den Barbarenbegriff von Walter Benjamin eingehen. Entschuldigen, wenn ich hier den Text nicht vollständig zitiere und gleich zu der Passage weiterspringe, die deutliche Assoziationen zu TransGender-Personen bietet:

Diese barbarischen Entwicklungen wirken sich allgemein auf die menschlichen Beziehungen aus, doch wir können sie heute zuallererst und am deutlichsten in den körperlichen Beziehungen und in den Konfigurationen von Geschlecht und Sexualität erkennen. Die konventionellen Normen körperlicher und sexueller Beziehungen zwischen und innerhalb der Geschlechter werden zunehmend in Frage gestellt und transformiert. Die Körper selbst verändern sich und mutieren zu neuen, posthumanen Körpern. Die erste Bedingung dieser körperlichen Transformation ist die Erkenntnis, dass die menschliche Natur in keiner Weise von der Natur als ganzer zu trennen ist, dass es keine festen und zwingenden Grenzen zwischen Mensch und Tier, Mensch und Maschine, Mann und Frau usw. gibt. (...) Wir unterlaufen nicht nur ganz bewusst die traditionellen Grenzen, wenn wir beispielsweise crossdressen, sondern wir bewegen uns auch in einer kreativen, unbestimmten Zone au milieu, dazwischen, und ohne den Grenzen irgendeine Beachtung zu schenken. Die heutigen körperlichen Mutationen stellen einen antropologischen Exodus dar (...) "gegen" die imperiale Zivilisation. Der anthropologische Exodus ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil hier das positive, konstruktive Gesicht der Mutation zum ersten Mal in Erscheinung tritt. (...)

Die Aufzählung der zu überwindenden Grenzen - etwa die Fusion von Mensch, Tier und Maschinen - haben Negri und Hardt offensichtlich von Donna Harraway übernommen. Ihren Ansatz bezeichnen sie allerdings am Ende des Kapitels etwas workshop distanziert als "Fabel vom Cyborg".
Die fundamentale, in dem Text immer wieder genannte Grenze, die die neuen Barbaren negieren, ist die Geschlechtergrenze. Sind Transgender Barbaren? Offenbar bewegen sich Transsexuelle insbesondere während ihrer Transformation in einer "unbestimmten Zone", doch verkörpern sie damit "einen antropologischen Exodus gegen die imperiale Zivilisation"?
Wie dem auch sei, zur Begründung revolutionärer Hoffnungen stellen sich TransGender-Personen schon aufgrund ihrer geringen Anzahl als unzureichend dar. Negri und Hardt suchen weitere "posthumane Körper", wobei sie weniger auf die weite Verbreitung der Schönheitschirugie als auf die Entwicklung von Elementen der Punkmode - Piercings und Tattoos - Bezug nehmen:

Wir müssen uns und unsere Körper sicherlich verändern, und das vielleicht weitaus radikaler, als es sich die Cyberpunk AutorInnen ausmalen. In unserer heutigen Welt sind die gängigen ästhetischen Mutationen des Körpers erste Anzeichen dieser körperlichen Transformation, doch letztlich werden sie lächerlich erscheinen, verglichen mit der Art der radikalen Mutation, die notwendig ist. Denn der Wille, dagegen zu sein, bedarf in Wahrheit eines Körpers, der vollkommen unfähig ist, sich einer Befehlsgewalt zu unterwerfen; eines Körpers, der unfähig ist, sich an familiäres Leben anzupassen, an Fabrikdisziplin, an die Regulierungen des traditionellen Sexuallebens usw. (...)

Die Philosophen der neuen Barbarei verschliessen sich dem Pathos nicht. So schreiben sie etwa:

Die unbegrenzten Wege der BarbarInnen müssen eine neue Lebensweise formen.

Oder, einige Seiten davor, wo sie zur Beschwörung der Kraft der Mobilität auch Nietzsche zitieren (S. 213):

Eine neue nomadische Horde, eine neue Rasse von Barbaren, will emporsteigen um in das Empire einzudringen oder es zu räumen.

Woran knüpfen Negri und Hardt hier an? Geht es hier wirklich darum zur Verkörperung des Willens zur Gegenmacht eine neue Rasse aufzurufen? Ich glaube nicht, dass solche nationalsozialistische Interprätationen Nietzsches dem "Empire" gerecht werden. Denn schließlich wird heute auch beim Begriff des Barbares weit weniger an Nietzsche als an zeitgemäßere Literatur gedacht. Ich zitiere eine Schrift von 1993:

Zwischen den Jahren, als die Ozeane Atlantis ertränkten und dem Beginn der aufgezeichneten Geschichte gab es ein ungeträumtes Zeitalter. Aus diesem stammte der Krimmer, Das Schwert in der Hand - ein Dieb, ein Plünderer, ein Mörder, mit gigantischer conan Schwermut und gigantischer Fröhlichkeit - um die juwelengeschmückten Thröne der Erde unter seinen mit Sandalen bekleideten Füßen zu zermalmen: Conan der Barbar.

Quelle: Conan the Barbarian, Heft 273, Seite. 1

Genau in dieser Welt - in einem "ungeträumten Zeitalter" zwischen Fiktion und Spekulation ist auch der Barbar des Empires angesiedelt: Negri und Hardt schreiben schließlich selbst (S. 216):

Wir müssen viel weiter gehen, um diesen neuen Ort des Nicht-Orts zu bestimmen, weit über die simplen Erfahrungen der Vermischung und Hybridbildung und die damit zusammenhängenden Experimente hinaus.

Wo können wir einen solchen Ort des Nicht-Orts ausmachen? Ist nicht jeder bekannte Ort, jede Ortsbezeichnung per se ein Ausdruck der Macht? Der Nicht-Ort, an dem die neuen Barbaren idealer Weise anzusiedeln sind, muss einer sein, der nicht auf den Karten der Macht registriert ist. Ein Ort, irgendwo zwischen Atlantis und dem Beginn der aufgezeichneten Geschichte (Conan, ebd).

Ich glaube nicht, dass ich an diesem Ort TransGenders ansiedeln würde. Und selbst wenn viele von ihnen von gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossen sind, bezweifle ich, dass Transgender als "neue Rasse von Barbaren" aufstehen wollen um "in das Empire einzudringen oder es zu räumen".
Ich selbst möchte jedenfalls nicht für solche Revolutionsphantasien vermarktet werden.

 

 

Teil 2:   Die Disziplinargesellschaft

Teil 3:   Barbarei - die Armut an Erfahrung

Teil 4:   Das Stottern der Barbaren

Texte noch nicht verfügbar

 

  L|nks

Die Veranstaltung fand im Rahmen der >> queer days der >> rosa antifa wien in der >> public netbase, Burggasse 21, statt.

  L|teratur

>> Hardt M., Negri T. (2000), Empire, Harward University Press, London (die englische Originalfassung, 496 Seiten, 1.34 MB PDF).

>> Foltin R. (2002), Immaterielle Arbeit, Empire, Multitude. Neue Begrifflichkeiten in der linken Diskussion. Zu Hardt/Negris "Empire" , erschienen in Grundrisse, 02-2002, Seite 6-20 (243 KB PDF).


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