Die One-Woman NGO

 


Am 14. März 2001 ist Deepa Krishnan verstorben. Eine Frau, eine Inderin. Kein Star, keine Berühmtheit. Keine, von der die Massenmedien je Notiz genommen hätten. Nur ein großartiger Mensch.
Erinnerungen an Deepa Krishnan.

Von Eva Fels und Helga Pankratz


Als Brahmanentochter geboren und erzogen, stand dem Mädchen aus Südindien der Weg zu guter Bildung offen. "Ich möchte Mathematik studieren", sagte Deepa schon sehr früh zu ihrem Vater. "Nein", hörte sie: "Frauen sollten etwas praktisches lernen." - Der Kompromiß zu dem sie sich bereit fand war ein Studium der Computerwissenschaften: als eine der ersten Frauen damals; zunächst in Bangalore, dann in Nordindien und später in Japan. Ihre Arbeiten als Programmiererin und Projektbetreuerin führten sie schon als Studentin rund um den Globus. Auch nach Wien: "Es war schrecklich", erinnerte sie sich daran: "Überall gab es nur Fleisch zu essen! Ich habe mich vier Tage nur in Konditoreien von Torten ernährt."

Die Geschiedene.

Gleich nach Beendigung des Studiums heiratet sie einen Amerikaner. Liebe und tiefes gemeinsames spirituelles Verständnis scheinen für eine Dauerhafte Verbindung zu garantieren. Doch schon nach einigen Jahren zerbricht die Ehe. Nicht unüblich. Auch nicht in Indien. Allerdings kann eine geschiedenen Inderin nach wie vor von der Gesellschaft weniger Respekt erwarten als ein entlassener Sträfling. Auch in der Oberschicht, aus der Deepa stammte und in größeren Städten sind nach wie vor "wilde Scheidungen" üblich: Die Frauen betteln darum, die Ehe auf dem Papier aufrecht zu erhalten, wie zerbrochen sie innerlich auch sein mag, auch wenn sie jahrelang von ihren Männern getrennt leben. Bekannten gegenüber wird erklärt, daß der Mann in einer anderen Stadt arbeitet.

Es wäre gerade für die mit einem Amerikaner verheiratete Deepa nichts einfacher gewesen, als ein solches Spiel zu inszenieren. Doch sie entschied sich für den klaren und mutigen Schritt einer Scheidung. Damit hat sie Verwandte schockiert, FreundInnen verloren - aber auch vielen Frauen Mut gemacht, indem sie ihnen vorlebte, daß es Alternativen zum "üblichen" und "erwarteten" Verhalten gibt.

Bahuchara Mata.

In Bombay kommt sie in Kontakt mit Hijras, jenen ausgestoßenen Mann-zu-Frau Transgenders, die vom Betteln und der Prostitution leben. Hijras haben hier einen traditionellen Platz, auch wenn jeder "anständige" Mensch in Indien das Gespräch sofort abbricht, wenn es auf diese aus dem Kastensystem ausgestoßenen, von Bettelei und Prostitution lebenden "Eunuchen" am Rande der Gesellschaft kommt. - "Warum, Deepa, hast du dich für sie interessiert?" "Am Anfang war es wegen Bahuchara Mata, der Göttin die sie verehren. Ich habe mich von ihr angezogen gefühlt." - Bahuchara ist nicht nur die Göttin, die Männer dazu aufruft als Transen zu leben. Sie ist auch die kinderlose Muttergöttin, deren Mythen davon berichten, wie sie die lüsternen und räuberischen Übergriffe der Männer mit brutaler Magie und Kastrationen zurückgeschlagen hat. Und sie ist die Stammesgöttin der hrana, eines alten Geschlechts von Boten und Vermittlerin.

Die Vermittlerin.

Deepa Krishnan war eine Vermittlerin. Aus den ersten Bekanntschaften mit Hijras entstanden tiefe Freundschaften: "Ich liebe sie. Wir haben so viel Spaß zusammen." Aus der Position der Brahmanin steht sie zu den Würdelosen, hilft ihnen, wo sie kann und schenkt ihnen Würde und Respekt. Meena

Im Sommer 1999 wir sie zur Ansprechpartnerin für das Wiener Theater des Augenblicks, das Meene Venkatash, eine Hijra, für ein Symposium über Transgenderkulturen nach Wien einladen möchte. Als enge Vertraute von Meena Balai setzt sich vehemet Deepa dafür ein, Meena einen Paß zu verschaffen, damit diese zum Symposium nach Europa fliegen könne. Das war nicht einfach: "Ich habe Meena gefragt, ob in ihrem Paß ‚Mann' oder ‚Frau' stehen soll. ‚Beides' hat Meena selbstverständlich geantwortet. Ich hab' probiert das durchzusetzen, aber es ging einfach nicht. ‚Na gut,' hat Meena gesagt, ‚wenn nicht beides, dann keines davon.'" - Meena bekam nach langem Ringen mit den indischen Behörden schließlich doch einen Paß: einen der sie als ‚Female' auswies. Allerdings erst Monate später, nach dem in Wien das Symposium längst ohne sie stattgefunden hatte. Statt der paßlosen Hijra flog Deepa selbst nach Wien: mit einem Dokumentrafilm über Mina und andere Hijras im Gepäck, den sie kurz davor gemeinsam mit ihrem Bruder fertiggestellt hatte: ‚Paper Flowers'.

Paper Flowers.

Es ist die herzlichste Dokumentation die jemals über Hijras gedreht wurde. Das ungemeine Leid und das glückliche Lachen, das diese Menschen auszeichnet verschmilzt darin in einem Atemzug. Deepa konnte dieses Leid ansehen: urteilsfrei und mit offenem Herzen. Und das ist nicht leicht in Indien. "Glaubst du kannst du das ertragen?" fragte Deepa, als ich sie beim Wiener Symposium darauf ansprach, daß ich die Hijras gerne persönlich kennenlernen würde. "Ich weiß es nicht", antwortete ich: "Hilfst du mir dabei?" Deepa hat nur genickt. Sie hat mich in Indien eingeführt, mich ein wenig verstehen gelehrt und mich weitervermittelt, bis ich selbst von den Hijra aufgenommen wurde.

Als wir uns vor nun einem Jahr in Bangalore trafen, war sie selbst gerade erst wieder in die Stadt ihrer Kindheit zurückgekehrt. Wir besuchten gemeinsam ein Aids-Hilfe-Zentrum, das auch Hijras betreut. Die Sozialarbeiter, die Jahre gebraucht hatten um mit Hijras umgehen zu lernen, waren über Deepas vertraute Nähe zu ihnen verblüfft. - Deepa hat mehr Aids-Präventionsarbeit geleistet, will mir scheinen, als das ganze Zentrum. "Für welche Organisation arbeiten Sie?" - wurde sie oft gefragt. "Für keine." - Deepa war eine One-Woman-NGO.

Wir sind alle eins.

Es war nicht nur die Ausgrenzung der Transen, die Deepa schmerzte, sondern auch die der Lesben und Schwulen. Nicht nur, daß in Indien Homosexualität nach dem noch gültigen britischen Kolonial-Strafrecht mit bis zu zehn Jahren Haft verfolgt wird, Lesben und Schwule werden meist von ihren Familien verstoßen. Viele leiden unter erdrückenden Schuld- und Schamgefühlen. All dem zum Trotz hat Deepa im Vorjahr begonnen, gemeinsm mit einem Freund eine Homosexuellen-Telefonhotline aufzubauen, bei der diese Menschen, die unter Ausgrenzung und häufig unter Erpressungen leiden, Hilfe finden.

Deepa Krishnan war eine Kämpferin. Sie hat die Augen nie vor dem Leid verschlossen sondern ist den Leidenden zur Seite gestanden.

Helfen hatte für sie nie eine christlich aufopfernde Bedeutung. Es eher ein Präsent-Sein und Ausdruck ihrer Verbundenheit, auch mit jenen, die von anderen gemieden wurden: "Wir sind alle eins." - Niemals wurde Deepa überheblich: weder gegenüber den Diskriminierten noch gegenüber den blinden Privilegierten. Freilich, über arrogante Männer gab es mit ihr stets herzhaft viel zu lachen.

Als letzten Winter Erdbeben Nordindien erschütterten hat sie sich nach Gujarat aufgemacht. Sie ist durch Trümmer und Seuchengebiete gegangen und hat zugepackt, wo sie gebraucht wurde. Im Februar kommt sie mit einer schweren Virusninfektion nach Bangalore zurück. Sie wird die Krankheit nicht ausheilen können. Am 14. März stirbt Deepa Krishnan an Tuberkulose.

Sie war ... eine Inderin. Ein großartiger Mensch. Eine wunderbare Frau. - Wir werden ihr klares Lachen nie mehr hören.

zu an.schläge.at


top Erschienen in an.schläge, das feministische Magazin, 05/2001, S. 14 f. 
home Fotos von Eva Fels (oben) und Ruth Maloy