Lily Elbe hatte Jahre als Einar Wegener gelebt. Als Lily war ihr kein langes
Dasein beschieden. Der dänische Künstler Einar hatte sich als erster 1930
in Deutschland einer "geschlechtsanpassenden" Operation unterzogen und "wurde
zur Frau". Eine zweite Operation, die es Lily ermöglichen sollte auch schwanger
zu werden, endete fatal.

Sie starb an den Folgen des chirurgischen Eingriffs und ist heute weitgehend
in Vergessenheit geraten. Viel besser in Erinnerung ist vielen der Name des
amerikanischen GI George Jorgensen, der 1953 zu "Christine" wurde. Sie wurde
die erste gefeierte "Medien-Transsexuelle", wirkte in Hollywood-Filmen mit,
verkaufte ihre Lebensgeschichte und machte das Thema "Transsexualität" populär.
Christine sagte, sie habe "sich immer als Frau gefühlt" und hatte durch einen
Irrtum der Natur einen Körper, der nicht zu ihrer Psyche passte. Das Schlagwort
von der "
im falschen Körper gefangenen Seele" machte die
Runde

.
Bei einer selbst nach einer Psychotherapie anhaltenden Dissonanz zwischen
Geschlechtsidentität und körperlichen Geschlechtsmerkmalen müssen die Geschlechtszeichen
angepasst werden, um zweifelsfrei das wahre Geschlecht zu symbolisieren.
Erst damit wird die individuelle Geschlechtswahrheit auch staatlich anerkannt.
Nach der
WHO besteht bei Transsexualität
(1) der Wunsch, als Angehöriger des anderen anatomischen
Geschlechts zu leben und anerkannt zu werden, der
(2) meist mit dem Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum eigenen
Geschlecht einher geht. Es besteht
(3) der Wunsch nach hormoneller und chirurgischer Behandlung,
um den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht soweit wie möglich anzugleichen

.
Durch eine künstliche Verformung des Körpers soll also wieder die "Einheit
von Seele und Körper" hergestellt werden, um so einen "ganzen Mann" oder
eine "ganze Frau" erstehen zu lassen. Denn
"Gott schuf den Menschen nach
seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und
Weib"

. Nach christlicher Auffassung ist man Mensch entweder als Mann oder
als Frau. Es gibt keinen Bereich "dazwischen". Um einen akzeptierten Status
in der Gesellschaft und gültige Ausweisdokumente zu haben, ist es notwendig,
sich als Mann oder Frau zu deklarieren.
Viele Menschen mit Geschlechtsidentitätsproblemen sehen sich allerdings
keineswegs zweifelsfrei als dem ihrem Geburtseintrag entgegen gesetzten
Geschlecht zugehörig und würden sich lieber in einer "Zwischenzone" ansiedeln,
mit Merkmalen und Verhaltensmuster beider Geschlechter. In der Unmöglichkeit,
ihr Leben einer der beiden Geschlechtsstereotypien zu unterwerfen, wechseln
männliche und weibliche Transvestiten immer wieder ihre Geschlechtsdarstellung.
Die sozial kaum akzeptierte doppelgeschlechtliche Lebenspraxis lässt jedoch
für viele eine Verankerung der Person im "anderen Geschlecht" ungeachtet
der erforderlichen psycho- physiologischen Behandlungen und operativen Eingriffe
als kleineres Übel erscheinen.
Heute wird allerdings immer häufiger beobachtet,
dass auch der Wunsch nach "Geschlechtswechsel" von der Illusion getrieben
wird, beide Geschlechter zu leben und so eine ungeteilte Vollkommenheit
erreichen zu können

.
Es gibt keine scharfe Grenze zwischen TransGender-Personen mit und ohne
Operationsbegehren

. Sie unterscheiden sich lediglich darin, welche Geschlechtszuordnung
für sie gerade noch akzeptabel ist, nicht aber in der Tatsache, dass ihnen
keine der beiden Geschlechtsprägungen wirklich gerecht wird.

Außereuropäische Kulturen gingen mit uneindeutigen Geschlechtspositionen
oft viel einfühlsamer um als das Abendland. Bei vielen Völkern akzeptierte
man die Tatsache, dass es Menschen gibt, die weder eindeutig männlich noch
eindeutig weiblich sind, auch wenn diese Zwittrigkeit auf den Bereich der
Psyche beschränkt ist. Bei verschiedensten Populationen gab es eigene Institutionen
innerhalb derer es möglich war, Teilaspekte der entgegen gesetzten Gender-Rolle
zu übernehmen, ohne damit zum Außenseiter zu werden oder als pervers zu
gelten. Im Gegenteil, oft wurden solche Personen als Glück bringend gesehen,
mit einer besonderen Beziehung zu Geistwesen, sie galten als Heiler und
als Mittler zwischen der Welt der Menschen und dem Numinosen. Unter den
nordamerikanischen Indianern waren es etwa die nadle der Navajo und die
winkte der Sioux, die angesehene soziale Positionen innehatten, da die Macht
ihrer Rituale und Lieder als Garanten des Wohlstands galten. Sie selbst
konnten sowohl männliche wie weibliche Partner wählen.
Sie und andere wurden praktisch durch den US-Rassismus ausgerottet, nachdem
man sie in ethischer Empörung und Ignoranz ihrer besonderen Stellung als
Homosexuelle diffamiert und mit dem Sammelbegriff berdache ("Lustknabe")
belegt hatte. Für die Indianer dagegen war die christlich-europäische Auffassung
der Homosexualität nicht nachvollziehbar. Für sie hatten nadle und winkte
einen eigenen Gender-Status, der ihnen sexuelle Beziehungen zu Männern ganz
selbstverständlich erlaubte.
In Indien waren es die Hijras, die von der britischen Kolonialmacht bekämpft
wurden, um die westliche Geschlechtsordnung durchzusetzen. Die "Männer in
Saris", die bei Geburten und Hochzeiten tanzten und vom Segnen der Bevölkerung
lebten, waren den Briten ein Dorn im Auge. Mit Grauen berichteten die Briten,
dass Hijras mit ein bis zwei Messerschnitten ihre äußeren Genitale entfernten.
Mit der Einführung des Britischen Strafrechts (1884) wurde es Männern generell
verboten, öffentlich in Frauenkleidung aufzutreten. Schon zuvor waren Hijras
durch das Gesetz "zur Registrierung von kriminellen Stämmen und Eunuchen"
(1871) und andere Gesetze kriminalisiert worden. An vielen Orten wurde der
Gemeinschaftsbesitz der Hijras enteignet.
Dennoch konnte diese Institution bis heute überleben. Alleine in der Millionenstadt
Mumbai dürften zwischen 120.000 und 170.000 Hijras leben. Schätzungen für
ganz Indien gehen bis zu 5 Millionen.
Hijras haben sehr strenge soziale Regeln und - wie bei Kasten üblich - ihre
eigene Gerichtsbarkeit. Junge Hijras werden von älteren adoptiert und in
familiäre Verbände aufgenommen

. Der Generationenkontrakt, demzufolge jüngere

Hijras das Überleben älterer sichern, gewährleistet ein stabiles soziales
Netz, das selbst die Briten nicht zerstören konnten.
Heute werden die Hijras gelegentlich als die "indischen Transsexuellen"
bezeichnet und die rituelle Kastration als eine Art "primitiver geschlechtsanpassender
Operation" gesehen. Zur Unterstützung dieser Auffassung werden dann Interviewausschnitte
mit Hijras wiedergegeben, in denen diese sagen "sie hätten sich immer als
Frau gefühlt", "nach der Operation war ich eine richtige Frau", usw.
Es wäre aber falsch, Hijras pauschal als Transsexuelle sehen zu wollen.
Zwar versuchen viele - soweit es ihnen möglich ist - als Frau aufzutreten
und anerkannt zu werden, was ihnen bei einer Verkörperung des traditionellen
weiblichen Habitus auch weitgehend gelingt. Viele aber inszenieren sich
eher so, wie wir es hierzulande eher von Drag-Queens und Transvestiten kennen:
Sie schwenken stark mit den Hüften, werfen Männern kokette Blicke zu, rufen
ihnen nach oder berühren sie sogar. Sie schimpfen in so unflätiger Weise,
dass viele Inder vor ihnen Angst haben. Dieses Verhalten, das man bei indischen
Frauen höchstens unter Prostituierten und allerniedrigsten sozialen Schichten
findet, tritt bei jenen Hijras, die von Prostitution und Betteln leben,
besonders überzeichnet hervor.
Das derb-maskuline Auftreten mancher Hijras soll nicht darüber hinwegtäuschen,
dass fast alle das zweite Kriterium der WHO-Definition der Transsexualität
erfüllen: Sie haben eine starke innere Distanz zu dem ihre ursprüngliche
Physiologie markierenden männlichen Geschlecht.
Die Hijra
Mona Ahmed formuliert das in ihrem autobiographischen Buch so:
"Wenn Gott zu mir käme, würde ich ihn fragen, warum hast Du mich so gemacht?
Warum ließest Du mich geboren werden, wenn Du mich als drittes Geschlecht

zur Welt kommen ließest? Wir sind nicht wie Männer die versuchen, Frauen
zu sein, wir sind das dritte Geschlecht. Ihr im Westen werdet das nicht
verstehen, denn in eurer Welt denkt jeder
nur an Mann und Frau"

.
Die Auffassung von einem eigenen, dritten Geschlecht, das weder männlich
noch weiblich ist, entspricht auch dem, was aus altindischen Texten hervorgeht.
In einer Variante des Ramayana-Epos wird der Held Rama auf dem Weg ins Exil
von weinenden Bürgern seiner Stadt eine Wegstrecke lang begleitet. Am Waldrand
wendet er sich an die "Männer und Frauen von Ayodhya" und befiehlt ihnen
heimzugehen. Als er nach 14 Jahren aus der Verbannung zurückkehrt, findet
er an derselben Stelle eine Gruppe langbärtiger Menschen, in tiefe Meditation
versunken, vor. Auf seine Frage, was sie immer noch hier machten, antworten
sie ihm, dass er die Männer und Frauen heimgeschickt hätte, sie aber wären
weder Männer noch Frauen. Wir haben hier also einen deutlichen Hinweis auf
die anerkannte Existenz eines dritten Geschlechts. In der Manusmrti ist
von den kliba die Rede. Das Wort wird meist als "Eunuch" übersetzt, sein
Bedeutungsinhalt umfasst die Begriffe "impotent, ängstlich," aber auch "das
neutrale Geschlecht". Und im Kama Sutra ist ausdrücklich von einem "dritten
Geschlecht" (
tritiya prakriti, eigentlich "dritte Natur") die Rede. Die Hijras
können sich also auf eine von alters her anerkannte Geschlechtskategorie
außerhalb der beiden Geschlechter "männlich" und "weiblich" berufen.
Der moderne Staat Indien räumte dem "dritten Geschlecht " einen gewissen
Freiraum ein, ohne es offiziell anzuerkennen. Bei den alle zehn Jahre stattfindenden
Volkszählungen konnten Hijras selbst entscheiden, ob sie als Mann oder Frau
erfasst werden wollten. Als sie allerdings beim Census 2001 als 3. Geschlecht
registriert werden wollten, wurden sie nach langen öffentlich geführten
Diskussionen gezwungen, sich als Männer einzutragen. Pässe für Hijras werden
dagegen in der Regel mit einem weiblichen Geschlechtseintrag ausgestellt,
wobei bedeutungslos ist, ob die Betreffende operiert ist oder nicht.
Ebenso selbstverständlich werden Hijras in der heteronormen Sexualordnung
als Frauen gesehen: Ihre Beziehungen mit Männern werden akzeptiert während
männliche Homosexualität nach wie vor strafrechtlich verfolgt wird. Ein
Mann kann von seinen Eltern die (mürrische) Zustimmung zum Zusammenleben
mit einer Hijra erwarten, auch wenn sie ihn bei einer homosexuellen Affäre
verstoßen hätten.
Beziehungen zwischen Frauen und Hijras sind dagegen verpönt, und zwar sowohl
in der öffentlichen Meinung als auch innerhalb der Hijra-Gemeinden. Schließlich
ist es auch selbstverständlich, dass Hijras die "ladies-only" Abteile von
Zügen benutzen. Widersprüche zwischen den Geschlechtspositionen "Frau" und
"weder Mann noch Frau" werden allerdings meist zugunsten der letzteren entschieden.
Hijras kandidieren auch für politische Ämter, und zwar zumeist als parteiunabhängige
Kandidaten. Slogans wie "Du brauchst keine Genitalien für die Politik, du
brauchst Hirn" dürften ihnen weniger Beliebtheit gebracht haben als die
Erwartung, dass sie als Hijras zweifellos weniger korrupt wären als andere,
mit großen Familien behaftete Kandidaten. Bei manchen Wahlen überzeugte
das die Wähler.
In Katni, einer Stadt im Bundesstaat Madhya Pradesh, war die Hijra Kamla
Jaan mit großer Stimmenmehrheit ins Bürgermeisteramt gewählt worden - ein
Posten, der für eine Frau reserviert war. Gleich nach ihrem Sieg wurde die
Wahl von Gegnern angefochten. Das Höchstgericht des Bundesstaates stellte
Ende Jänner 2003 fest, dass Kamla das Amt nicht behalten könnte, da sie
"technisch gesehen" ein Manns sei. Ob Kamla Jaan operiert war, stand dabei
nie zur Diskussion.
Selbst Journalisten wurden durch das Gerichtsurteil verunsichert. Sie hatten

sich an das gehalten, was in Indien üblich ist: Hijras tragen Frauennamen
und man spricht oder schreibt über sie in der grammatikalisch weiblichen
Form. Nun wissen die Berichterstatter nicht mehr, ob sie "er" oder "sie"
sagen sollen. Auf einer indischen
Internetseite wird den ganzen Artikel
lang über Kamala Jaan in der weiblichen Form berichtet. Im letzten Absatz
heißt es, dass "ER (Kamla Jaan) aus den Medien erfahren hätte, dass SIE
IHRES Postens enthoben worden sei. "Ich werde die Sache mit meinem Anwalt
besprechen…." fügte ER hinzu…"

.
Vielleicht könnten auch manche Hijras mit dieser verwirrten Geschlechtsgrammatik
leben.
Die Anerkennung als Frauen ist für das dritte Geschlecht schließlich
nur die zweitbeste Lösung. Einige Hijra Initiativen fordern eine Ergänzung
zur "M" - und "F" - Kategorisierung. Es wird lediglich diskutiert ob offizielle
Papiere auch ein "H" - für Hijras - oder ein "E" - für Eunuchen - enthalten
sollten. Mit dem von Queer- Gruppen favorisierten "T" (TransGender) wollen
sie sich aber nicht anfreunden. Viel Übereinstimmung mit den historisch
jungen "TransIrgendwas"

besteht ja nicht.
Westliche TransGender-Forderungen
nach einem Abbau der staatlichen Geschlechtsstigmatisierung und einer Entwertung
von Geschlechtszwängen

treffen in der indischen sexistischen Kultur kaum
auf Verständnis. Hijras vertreten schließlich eine eindeutige Geschlechtsposition.
Auch wenn diese der weiblichen weit ähnlicher ist als der männlichen empfinden
sie den Zwang sich zum anderen Geschlecht deklarieren zu müssen, als Missachtung
ihrer Geschlechtlichkeit.
Die Globalisierung der zweigeschlechtlichen Struktur wird darauf wohl wenig
Rücksicht nehmen. Solange Geschlecht nur ein Bit sein darf, müssen alle
anderen Geschlechtspositionen pathologisiert und geschlechtsanpassenden
Operationen unterworfen werden.
Eva Fels, Traude Pillai-Vetschera